Läßt man nach einiger Betrachtung das Pferd stehen,
folgt man dem Pfad den Hügel weiter hinauf, wird der
eigene Weg abgelenkt durch ein in den Boden eingelassenes
Steinband, das einen nach links zieht. Folgt man
dem Steinband zunächst mit dem Blick, bemerkt man
nicht nur seinen hügelparallelen Verlauf, sondern auch
seinen Wegcharakter: In seiner Fußbreite fordert es auf,
ihm zu folgen. Es markiert nicht nur, sondern weist ebenso
den Weg. Diesen Wegcharakter entwickelt es auch,
wenn man an den Arbeiten Erwin Wortelkamps vorbei,
aus der anderen Richtung kommend, den Hügel hinauf
geht. Auch hier markiert das Steinband einen Weg, der
einen in seine Richtung zieht.
Folgt man dem Steinband von der Seite des ersten Weges,
sieht man zunächst in einiger Entfernung einen halbhohen
Sockel, der ein kleineres weißes Gebilde trägt. Man
erreicht es über eine leichte Stufe, eine eisenabgesteckte
Grasfl äche, die diese Stelle noch einmal hervorhebt. Der
Sockel nun trägt ein weißes Gipspferd in Bozzettogröße,
das von einem Glaskasten umgeben ist. Die noch lichte
Hecke, die diese Pferdestele zum Tal hin abgrenzt und die
sich nach links ein Stück wegparallel fortsetzt, erlaubt noch den Blick auf
das weiße Pferd des Hinweges: Beide scheinen sich in maßstäblicher
Differenz zu gleichen.
Dieser Blick, der, wenn die Hecke dichter geworden ist, mehr auf die Erinnerung
angewiesen sein wird, setzt ein Spiel der Beziehung zwischen
Pferdestele und Pferdeplastik in Gang. Er fragt im Vergleich zwischen
beiden nach dem Verhältnis von Entwurf und Ausführung, macht die
Pferdestele als Modell der Pferdeplastik thematisch. Die Art der Präsentation,
insbesondere der Pferdestele, gibt diesem Beziehungsspiel dabei
einen eigenen Akzent. So spielt die ausgrenzende Markierung des Steinbandes,
die zugleich Wegeinladung und Abgrenzung gegen den Hügel
ist, die Stufe, auf die die Pferdestele gesetzt ist, zusammen mit der Gestaltung
der Pferdestele als einer Sockelplastik auf die innere Gestalt
eines griechischen Tempels an.
Dieser beherbergt in seinem Inneren ein Kultbild der mit
ihm verehrten Gottheit. Dieses Kultbild steht in einem
unzugänglichen Raum, der wiederum Teil einer langrechteckigen
Halle, dem Hauptraum des Tempels, ist. Bei aufwendig
ausgestatteten Tempeln wird dieser Hauptraum
von einem Säulenkranz umgeben. Seiner Funktion nach
ist der Tempel daraufhin angelegt, dem Kultbild eine würdige
Umrahmung zu geben: Er ist Herberge des Kultbildes.
Im Kultbild selbst wird die Gottheit anwesend, sie
wohnt in ihrem Bild. Das Wohnen umschreibt dabei die
besondere Art ihrer Anwesenheit: Das Kultbild leistet
eine Art Repräsentation, eine Form darstellenden Daseins.
Es bietet der Gottheit einen Ort, an dem sie gegenwärtig
wird. In dieser Leistung des Kultbildes wird der Tempel zu
einem besonderen Bezirk, der sich als ein sakraler Bereich
gegenüber seiner Umgebung abgrenzt. Das, was vor dem
Heiligtum liegt, ist die profane Welt.
Diese Anspielung auf die innere Gestalt eines griechischen
Tempels ist nun nicht wortwörtlich einzulösen, wohl
aber kann sie die Konstellation zwischen Pferdeplastik
und Pferdestele bereichern. In diesem Sinne gehört die Pferdeplastik,
wie sie einem den Weg den Hügel hinauf begegnete, zum Bereich des
Profanen. In ihrem etwas brüskierenden Realismus ist sie charakterisiert
durch ein großes Maß an Profanität. In dieser Weltlichkeit stellen sich
schnell auch erzählerische Kontexte ein, die die Pferdeplastik zum Anlaß
situativer Assoziationen oder persönlicher Erinnerungen werden läßt.
Sie weist damit von sich selbst weg, geht im erzählerischen Kontext auf,
ist gerade nicht als sie selbst gemeint. In ihrem abbildlichen Realismus
ist die Pferdeplastik darin mehr Zeichen als Bild.
Dieses gilt nicht für die Pferdestele. In ihrer besonderen Präsentation gewinnt
sie die Form eines darstellenden Daseins. Gegenwart gewinnt mit
ihr aber nicht ein bestimmtes Pferd, sondern ein ganzer kultureller Horizont
wird aufgerufen. Er ist gleichsam in die Pferdestele gesammelt. Die
Dimensionen dieses Horizontes umspielen dabei die Möglichkeiten von
Kunst: Sie reichen von der frühen kultischen Verehrung des Pferdes, wie
sie in den Höhlenmalereien von Lascaux bewahrt geblieben sind, bis zu
den Pferdemodellen von Edgar Degas, die in der Auseinandersetzung
mit der Photographie die gestalterischen Valenzen der Plastik neu erkunden.
Die Pferdestele ruft damit einen Horizont auf, der gerade nicht
von der besonderen Art ihrer Erscheinung absehen läßt. Sie bringt ihn in
sich gesammelt zur Darstellung, gibt ihm einen Ort, an dem er Gegenwart
gewinnt. Darin ist die Pferdestele vor allem Bild.
Pferdeplastik und Pferdestele machen ihre Beziehung an einem Gegenstand
zum Thema, dem Pferd, das in kulturhistorischer Perspektive beständig
die Grenze zwischen Natur und Kultur umspielt. Das Pferd steht
zwischen Wildtier und Haustier, zwischen Naturtier und Kulturtier. Pferdeplastik
und Pferdestele zeigen dieses: Zum einen in der angedeuteten
aufgeschreckten Bewegung, die im Fluchtinstinkt des Pferdes sein natürliches
Verhalten bündelt, zum anderen im kupierten Schweif, der, mit
welchem Beigeschmack auch immer, die menschliche Kultivierungsleistung
im Umgang mit dem Pferd pointiert. Das Pferd wird dabei in
dem Maße zum Kulturtier, in dem es gelingt, seine natürlichen Eigenschaften
in einen Kanon kulturell nutzbaren Verhaltens zu transformieren.
Wie sehr dabei das Pferd ein Naturtier ist, wird darin deutlich, daß
dieser Vorgang als Zähmung verstanden wird. Er leistet die Umwandlung
natürlichen Verhaltens in kulturelle Qualitäten.

Diese Stellung des Pferdes zwischen Natur und Kultur trägt das Pferd als
Dargestelltes auch in seine Darstellung. In der Pferdeplastik und der
Pferdestele wird sie faßbar als Spannung zwischen Material und Sinn.
Pferdeplastik und Pferdestele umspielen auf je eigene Weise das Verhältnis
von Materialbewältigung und Sinnstiftung. So ist die Pferdeplastik
in ihrem Realismus charakterisiert durch eine Überformung des
Materials. Es ist vollständig funktionalisiert zu einer abbildlichen Form,
die als Darstellung zurücktritt. Der Gegenstand, das Pferd, ist hier das
Gemeinte. Die Pferdestele dagegen ist nicht einfach nur maßstäblich
verkleinert, sondern diese Verkleinerung ermöglicht einerseits die besondere,
anspielungsreiche Art der Präsentation, sie bewirkt andererseits
ebenso eine Verundeutlichung der plastischen Gestaltung, die
gerade diesen weiten Sinnspielraum eröffnen kann. Es gibt bei der Pferdestele,
ganz im Gegensatz zur Pferdeplastik, einen ästhetischen Rest
an Undeutlichkeit, an offener Gestaltung und an fremdem Kontext, der
gerade nicht von der Pferdestele absehen läßt. Die Spannung zwischen
Material und Sinn, zwischen naturalen und kulturalen Momenten, läßt
sich nur am Werk selbst einlösen. Kunst, so machen es hier Pferdeplastik
und Pferdestele im Bezug aufeinander thematisch, bewältigt die Natur
zu Sinn, allerdings nur insofern sie die Natur in sich selbst zur Geltung
bringt.
Verläßt man nach einiger Betrachtung die Pferdestele und geht den
Hügel wieder hinab, so erkennt man rückblickend, wie sich drei einzeln
entlang des Steinbandes stehende Bäume in Werk und Landschaft einfügen.
Sie markieren sichtbar einen Ort und bilden zugleich in ihrer
Folge eine Grenze. Darin gestalten sie die Landschaft, begrenzen das Tal
an dieser Stelle hügelseitig. Die Bäume umspielen darin auf ihre Weise
auch die Grenze zwischen Natur und Kultur: Sie schaffen einen Sinnzusammenhang,
der in der künstlerischen Gestaltung die vegetative und
geographische Kontingenz des Talausschnittes als Landschaft sichtbar
macht.
Claus Volkenandt
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