Bruno Walpoth
Lena
Bruno Walpoth
* 1959 in Brixen
Inmitten der Natur, im Laubwald »im Tal«, begegnet man Lena. Einer jungen Frau mit entblößtem Oberkörper. Schlank mit knochigen Schultern, die Arme leicht nach hinten gedreht, mit straffen Brüsten und flachem Bauch steht sie da. Ihr langes Haar streng zu einem Knoten gebunden. Der Körper und der Kopf sind leicht nach links verschoben. Der Mund bleibt geschlossen, der Blick ist frontal ausgerichtet doch nicht fokussiert. Die Augenlieder sind gesenkt, wie im Halbschlaf oder in einem tranceartigen Zustand schaut Lena durch den Betrachtenden hindurch. Diese Regungslosigkeit des Blickes wird auch in ihrer Haltung reflektiert. Der Körper mündet an der Hüfte in einem aus Beton gegossenen dunklen Sockel der fest in der Erde verankert ist und der noch einmal mehr den Moment des stillen Erstarrens unterstreicht.
Bruno Walpoth schafft Menschen aus Linden- oder Nussholz, die nicht selten, wie Lena, in Bronze gegossen werden. Seine Figuren entstehen in der Begegnung und Auseinandersetzung mit Modellen. Im Maßstab 1:1 werden die Körper, die Linien und die Formen der wenigeren jungen Männer und vielen Frauen aus dem Holzblock mit Meisel und Feile herausgearbeitet. Auch wenn Walpoth die konkrete Wiedergabe von Körperpartien, wie einer Schulter oder eines Knöchels reizt und ein gutes Gelingen ihm Genugtuung bereitet, geht es ihm nicht darum, ein hyperrealistisches Abbild der vor ihm stehenden Menschen zu schaffen: Das Modell dient in seiner äußeren Erscheinung als Hülle für implizierte Projektionen. Die Gesichtszüge und Körperformen entsprechen zwar jenen der Modelle, doch nimmt Walpoth markante charakteristische Eigenheiten der Persönlichkeit – die im klassischen Sinn des Porträts für Individualität stehen – in seiner skulpturalen Nachahmung zurück: Das Modell als Muster für technische Umsetzung und nicht als Vorlage einer Abbildung der Natur, verleiht ihnen Zeitlosigkeit. Jede neue Arbeit ist eine weitere Herausforderung, Spannung aufzubauen. Dies gelingt ihm durch ein Gemisch aus Präsenz und Absenz, Nähe und Distanz. Die physische Anwesenheit seiner Figuren lässt Begegnung zu, doch ist es kaum möglich, in direktem Kontakt mit ihnen zu treten. Versucht man Lenas Blick einzufangen, so scheint dies verwehrt zu sein, es ist als würden sie eine mittelbare Konfrontation scheuen, sie weichen aus, lassen nicht zu, dass man spontan interagiert. In der Absicht den Gemütszustand im Gesicht von Lena abzulesen kommt man ins Zweifeln, ob es ein konzentriertes Schauen oder doch eher Gleichgültigkeit ist, die sie ausstrahlt. Es stellt sich die Frage, ob sie zuversichtlich in die Zukunft blicken oder im Blues der Melancholie gefangen ist. Unaufdringlich, und dennoch präsent, ist ein Dialog schwer möglich. Sie ist nicht in Aktion und unberührt von ihrem Umfeld, isoliert, wie aus einer anderen Welt, und doch präsent. Ein Gefühl, das an den Lockdown erinnert sucht einem heim. Es gibt keine wandernden Augen, auf der Suche nach Zusammentreffen, keinen Blickfang, sondern stimmig mit ihrer Haltung, verhaltenes Dasein, das sich nach innen richtet.
Trotz dieser in sich geborgenen Zurückhaltung ist ihre Anziehungskraft hoch und eine Begegnung mit Lena unumgänglich. Ein Reiz, mit dem der Künstler spielt und den er auskostet. Eine Interaktion ist dann möglich, wenn der Betrachtende bereit ist, sich einzulassen und etwas von sich selbst herzugeben. Überschreitet man erstmals diese Grenze, wird es kaum noch möglich der jungen Frau auszuweichen, man wird unweigerlich in ihren Bann gezogen. In diesem Moment wird das Gegenüber zum Speicher, zum Filter, zum Reflektor dessen, was man selbst zulässt und zu geben bereit ist. Diese durch den Betrachtenden eingehauchte Sinnesempfindung schafft eine unglaubliche Präsenz, die Raum und Zeit einnimmt. Jede durch Künstlerhand eingefroren Pose, die ausweichende Mimik und angespannte Gestik ist kontextlos von einem Vakuum umhüllt, in das man beim Betrachten schlüpfen kann oder nicht.
Dieser Eindruck der intimen Isolation wird zusätzlich von ihrer einzigartigen Schönheit verstärkt. Die erhabene Ästhetik in Form und Ausdruck, die weniger an das gängige Schönheitsideal als vielmehr an jene der Frührenaissance erinnert und von demütiger und unschuldig wirkender Anmut gezeichnet ist, suggeriert zusätzlich zeitliche Distanz.
Bruno Walpoth gelingt es auf geheimnisvolle Weise, seinen Figuren eine emotionale Distanz zu verleihen, bei der der Körper sich von seiner Materialität loslöst und in seinem Realismus für eine metaphysische Präsenz Platz schafft. Es entsteht eine Wirkkraft, ein Bewegungsraum, der dem Betrachtenden eine stumme Begegnung mit sich selbst erlaubt.
Lisa Trockner