Erwin Wortelkamp
Teil aus einem Ganzen – zu einem Ganzen
97 × 72 × 67 cm
Bronze
Platz, Kreissegment 60 qm
Beton, Pyramideneichen
Erwin Wortelkamp
*1938 in Hamm/Sieg
lebt in Hasselbach und Acquaviva Picena (I)
Platz geben
Auf halber Strecke zwischen Hasselbach und Werkhausen, sieht man nahe der Straße in den zum Bach hin abfallenden Wiesen sieben Säuleneichen. Sie markieren von weitem schon einen ausgezeichneten Ort. Kommt man über die Mähwege von unten, vom Bach her, so steigt man ihnen entgegen. In Kopfhöhe zeigt sich eine dunkle Bronze, die in den Wiesen unweit der Eichen liegt. Je näher man kommt, desto mehr schaut man auf die Bronze herab. Die Proportionen können einen monumentalen Kopf erinnern. Dieser ist auf einer Betonfläche positioniert, die in der Form eines Kreissegments zugeschnitten ist. Man betritt dieses Segment an seiner abgestumpften Spitze. Obwohl die betonierte Fläche beinahe 60 qm groß ist, steht einem der Bronzeklotz jetzt unmittelbar entgegen, verengt den Zugang. Man muß vorbei oder bleibt davor. Der Platz verkürzt sich und man hat das Gefühl, als wäre hier kein Raum mehr.
An Maserung und Struktur erkennt man die Bronze sofort als einen Guß nach einer Holzarbeit.¹ Die Bronze schreibt dabei dem plastischen Gebilde eine Dauer ein wie sie das Holz als Material so nicht besitzt. Holz trägt das Lebensprinzip von Werden und Vergehen immer in sich, während dieses Prozessuale in den Bronzen zugunsten einer nachhaltigen Konzentration aufgehoben scheint. Einerseits zeitlich gesehen, insoweit die Bronze – abgenommen von einer Holzskulptur – einen Augenblick fixiert; andererseits aber auch räumlich, insofern sich ihre Oberfläche in aller Härte gegen das Außen verschließt. Das, verbunden mit der kompakten Geschlossenheit der Form, konfrontiert den Ankommenden mit einem Höchstmaß an plastischer Konzentration. Das Bronzestück zieht sich ganz in sich zurück und macht es schwer, sich ihm gegenüber zu positionieren.
Die sieben Säuleneichen und die Betonfläche schneiden aus dem unbestimmten Kontinuum der Wiesen einen Platz aus, der nicht nur ein Platz für eine Plastik ist, sondern zugleich Plattform für einen Blick zurück. Die Rundung der Betonfläche bestimmt die Pfl anzanordnung der Eichen, die den Platz Richtung Norden abschliessen und wie eine Wand zusammenwachsen werden, während die abgestumpfte Spitze in die Richtung zurückweist, aus der man kam: zurück zum Schulhaus, zum Arbeitsplatz mit seinen Säulenbuchen und zurück auch auf die Höhe mit Wortelkamps von hier aus ebenfalls sichtbarer Arbeit Vielleicht ein Baum. Der Blick geht zurück auf Ludger Gerdes’ Stück im Tal, Kazuo Katases Bildstock (dem namenlosen Gott) oder Ansgar Nierhoffs Durchkreuzung – letztlich zu all den Arbeiten, die sich frei einem Fernblick präsentieren und Ferne in unterschiedlicher Form zum Thema haben.
Der Platz kann von weitem Zypressen umstandene Gehöfte im Süden Europas, z. B. in Italien erinnern.² Hier im ›Tal‹ aber umstehen die Bäume kein Haus, evozieren keine Geborgenheit, vielmehr eröffnen sie einen symbolischen Ort: Während die Eiche als Sinnbild der Kraft und der Unsterblichkeit in früheren Zeiten Kultstätten und Grabanlagen bezeichnete, verweist die Sieben als kosmisch, astronomische Ordnungszahl auf die Genesis wie auf ein vollkommenes Ganzes. Für ein Ganzes stünde auch der Kreis. Die Betonfläche als Kreissegment aber ist nur noch Teil aus diesem Ganzen. Den in die Ferne schweifenden Assoziationen antwortet immer wieder die raue Unmittelbarkeit dieser nackten Betonfläche. Sie entfremdet in ihrer Leblosigkeit den Platz von der umgebenden Natur, grenzt aus und versiegelt. Es bleibt ein Riß, etwas Fremdes, das sich zwischen das Hier und das Dort schiebt, so wie die Betonfläche zwischen Füße und Erdreich gelegt wurde. Derjenige, der auf der Betonscheibe steht, fühlt sich gleichermaßen herausgehoben wie ausgesetzt.
Der fast ein Meter hohe Bronze-Rundling füllt den gegebenen Raum nicht aus. Zur Fremdheit und Ungeschütztheit tritt ein Empfi nden von Leere. Immerhin ist es eine 60 qm große Betonfläche, auf der man steht. Bei einem Durchmesser der Plastik von ca. 75 cm ist klar, daß sich die Fläche dazu nicht wie ein gewöhnlicher Sockel verhält. Die Bronze liegt da wie ein vereinzelter Findling auf der ansonsten leeren Fläche. Wobei die Fläche ein Hier defi niert, das sich Betrachter und Bronze teilen. Wortelkamp hat diese Situation als einen offenen Platz gestaltet, der durch die weithin sichtbaren Eichen seine Fassung bekommt. Der Platz gewinnt gerade als leerer Raum in einer ehemals entleerten Landschaft (der freie Blick über die Straße und ins ›Tal‹ hält diesbezüglich ein Vorher und Nachher präsent) seine besondere Qualität. Dieser Platz legt nicht fest, nicht die Bronze und nicht denjenigen, der zu ihr tritt. Er eröffnet Möglichkeiten unter Bedingungen: Derjenige, der sich in dieser Situation bewegt, muß sich seiner selbst und seines Verhältnisses zu dem bronzenen Teil neben sich bewußt werden. Der erste Schritt einer solchen Selbstvergewisserung kann ein bewußtes Stehen sein. Denn so mühsam – je nach Jahreszeit und Feuchtigkeit – das Gehen durch die Wiesen war, so hart ist das Stehen auf dem Beton. Steht man aber, so steht man in einem diesbezüglich merkwürdigen Verhältnis zur Plastik. Die nämlich steht nicht und liegt auch nicht – sie ist da. Und in ihrem So-Sein – vor allem auch durch ihr Eben-da-Sein – eröffnet die Bronze die ganze Bandbreite unterschiedlicher Modi von Begegnung. Unmittelbare Nähe, die einen bedrängte, ebenso wie große Distanz, in der sich die Begegnung mit der Bronze in der Weite der Landschaft zu verlieren droht.
Die symbolische Aufl adung des Ortes und die Klassizität der Bronze lassen durchaus an Orte der Erinnerung, an Monumente denken. Doch wird hier nicht einer Person oder eines Ereignisses gedacht; und auch steht der Betrachter hier nicht davor. Er selbst wird Teil einer Situation, wird Akteur. Er teilt mit der Bronze deren Isolation. Das Betonieren einer Wiese wird als ein Akt gewaltsamer Entgrenzung erfahren und zugleich wird die Entgrenzung zur ortsstiftenden Kraft. In dem Maße wie man sich der Entfremdung aus der umliegenden Natur bewußt wird, in dem Maße wird man sich auch der Unzugänglichkeit und Härte des bronzenen Gegenübers bewußt. Gerade hierin erweist sich der Platz als ein Platz eingeforderter Begegnung. Der Platz gibt aber auch Raum zum Innehalten, zum Besinnen und Erinnern. Dies umso mehr als das Verhältnis zwischen dem Körper der Bronze und dem Körper des Betrachters permanent fragwürdig bleibt. Ihre Hermetik will dabei ebenso anerkannt wie überwunden sein.
Darüber hinaus ermöglicht die offene Gestalt des Platzes einen Rundblick, der zwar keinen Überblick bietet, der aber eine Vielzahl möglicher Beziehungen stiftet. Sei es mit bereits gesehenen Skulpturen, sei es mit Formen der Landschaft. Zugleich schützt mich dieser Platz nicht, denn in dem Maße wie ich die Freiheit erhalte, zu sehen, stehe ich frei, um gesehen zu werden. Als ein in dieser Hinsicht öffentlicher Raum konstituiert dieser Platz eine der vielschichtigsten Situationen im ›Tal‹ und bringt ein Grundprinzip der Anlage paradigmatisch zur Erfahrung: den offenen Dialog. Er folgt darin dem Titel der Bronze, er wird Teil aus einem Ganzen – zu einem Ganzen. Bronze- und Platzgestalt lassen mich erfahren, daß ich verbindlicher Teil dieses Ganzen bin.
Jörg van den Berg
1 Die Holzarbeit, die dem Guß zugrunde lag, stammt aus der zweiteiliegen Arbeit Teil aus einem Ganzen. Die Arbeit war u. a. ausgestellt in der Universität Witten/Herdecke. Vgl. dazu querab, Ausst. Kat. Universität Witten/Herdecke 1995. Bis ins Jahr 1998 lag auf dem Platz eine 4,5 m lange Liegende. Eine Skulptur aus Holz und Eisen aus dem Jahr 1981. Aufgrund von Verwitterung wurde diese Arbeit entfernt und durch die jetzt zu sehende Bronze ersetzt. Vgl. zur ehemaligen Situation vom Verf. nicht bei den Lebenden, nicht bei Gestorbenen. In: Skulptur im Tal, a. a. O., S. 48f.
2 Vgl. hierzu den Text von Erwin Wortelkamp wie unterwegs – das Ganze zu schauen – dabei zunächst kein Wort über Schönheit. In: Skulptur im Tal, S. 9. Dort läßt Wortelkamp bei einem fiktiven Spaziergang mit Adolf von Hildebrand diesen schon im Anblick der Säulenbuchen am Arbeitsplatz ›Italien‹ sagen.