Heinz Breloh
Der Bildhauer in der Mittagsonne
Glasgehäuse 225 × 158 × 158 cm
Gips 180 × 150 × 150 cm
Glas, Eisen verzinkt, Festgips
Heinz Breloh
*1936 in Hilden
†2001 in Köln
Man fragt sich: wie muß denn eine Kunst aussehen, die auf die Natur verweist, ihre Kräfte, ihr Wachstum, ihren Prozeß von Gestaltwerdung, Gestaltbrechung, Verwandlung? Eine große Gipsskulptur in einem Glaskasten, die zwischen dünnen Birken beim Anstieg auf einen Hügel wie ein Rätsel plötzlich auftaucht, macht die Erfahrung von ›Natur‹ auf verschwiegene Weise sichtbar. Als ein schwerer, verschlungener Klumpen Leben hebt sich Heinz Brelohs Skulptur aus der Landschaft heraus, nicht gegenständlich und auch nicht abstrakt, oder aber beides in einem. Der weiße Gips leuchtet, als wäre er wirklich bis zur Unwirklichkeit, in jeder Hinsicht körperlich, in einer Wucht, die ebenso zart wie gewalttätig ist.
Ein Paradox: was aufs Äußerste unwirklich erscheint, verweist doch gerade darin aufs Wirkliche, auf Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist (immer) plastisch. Sie entwickelt sich in groben und feinen Formen, die mit Geduld und Hast, Vorsicht und Verwegenheit gebaut sind, Stück um Stück, so wie der Gips in der Skulptur von Breloh in vielen Übergängen von flüssig zu hart geschichtet, gedrückt und verwoben wurde. Worauf man schaut, ist ein sehr kompliziertes Gebilde aus Schwüngen und Schleifen und Wülsten, eine Silhouette von Bewegungen, der Hauch eines Torsos, das Schema eines Körpers. Man muß um die Skulptur herumgehen, um sich in sie hinein zu verwandeln und ihr in sich ruhendes Maß, der Größe des Bildhauers entsprechend, zu verstehen. Man entdeckt darin ein Auf und Ab von Bewegungen, eine Bahn der Beine, einen Kreislauf vielleicht, ein mehr oder weniger mühsames Durch-Material-Hindurchwühlen. So die Skulptur, so das Leben.
Die zweite Erfahrung lautet: daß sich die Wirklichkeit entzieht, das Prinzip der Bewegung und Verwandlung, das ›Mächtige‹ und ›Zerbrechliche‹ des Materials und des Körperlichen. Der Glaskasten, der um die Skulptur von Heinz Breloh gebaut ist, geht weit über seine den Gips schützende Funktion hinaus. Er konstruiert einen Raum, und dieser Raum erzeugt einen Moment größter Verdichtung und Präsenz des darin Eingeschlossenen. Ganz nah erscheint einem dieses Gewülst mit seinen Verschlingungen und Furchen, daß man es berühren und sogar hineinkriechen möchte. Doch der Glaskasten hält einen ab; er demonstriert eine grundsätzliche Entfernung. Indem man aufs Äußerste dicht an das Plastische (an das Leben) heranrückt, bewahrt (oder bekommt) es etwas Unnahbares, und letztendlich entsteht daraus die Ahnung, daß die Einsicht in die Natur, in das Leben nie näher, nie ganz zu haben ist. Diese Distanz (zur gelebten Erfahrung, zum Geheimnis) ist offenbar grundlegend: für die Kunst, fürs Leben.
Heinz Brelohs Skulptur schafft in der Mitte des Hügels einen stillen ›heiligen‹ Ort, indem er das ganze Gewicht der ›profanen‹ plastischen Wirklichkeit herausstellt. Es gilt, was Giacometti einmal sagte, daß, wenn man die Bildhauerei ein wenig besser verstehen möchte, man sich auf die Dinge konzentrieren muß, die auf keine andere Art gesagt werden können. Und genau das tut Heinz Breloh. Seine Skulptur hebt sich ›mächtig‹ über sie hinaus, um in sie hinein zu verweisen, in der Mittagssonne wie im Abendlicht. Ponge schrieb über Skulpturen einmal von einer ›Natur des siebenten Tages‹ und von einer ›Natur des zweiten Grades‹. »Wenn die Natur kreist, so schert sie sich den Teufel um unsere Zustimmung. So scheint es uns zumindest. Und dies ist auch der Grund, warum wir ihre Schöpfungen am siebenten Tag so bewundern, wenn sie ruht und uns nur noch wie eine Ausstellung erscheint: darin kommen die Werke unserem Geschmack nicht entgegen, sie tun offenbar etwas dazu, was wir verdauen müssen. Das genügt für die Woche, denken wir. Aber am Montag geht es wieder los. Die Schöpfung, die nicht in sechs Tagen vollendet ist, geht weiter. Und doch hält diese Gleichgültigkeit der Natur uns gegenüber dem Nachdenken nicht stand. Denn schließlich zeigt sie bei ihrer Schöpfung ein solches Interesse, uns mit hereinzuziehen (und zu halten), daß sie uns allmählich in Bewunderer, in Abhängige verwandelt; bis wir nichts mehr sind als Münder, die ihren Ruhm verkünden!«
Jürgen Kisters