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Wolfgang Luy

ohne Titel

1990/91

Platz, kreisförmig Ø 1450 × 1250 cm
Brüstung 120 × 270 × 15,5–8 cm
Korb 40 × Ø 45 cm
Stufen je 13 × 36 × 140 cm
Hecken, Bruchsteine, Eisen verzinkt, Bronze

Wolfgang Luy

*1949 in Trier
lebt in Düsseldorf und Offenbach

»Aus einem Sklaven der Natur, solange er sie bloß empfindet, wird der Mensch ihr Gesetzgeber, sobald er sie denkt. Die ihn vordem nur als Macht beherrschte, steht jetzt als Objekt vor seinem richtenden Blick.«¹

Wolfgang Luy ist an den vielfältigen Dimensionen von Natur interessiert. Ihnen nähert er sich, sie aus den verschiedensten Blickwinkeln umkreisend, an. Dabei stellt er, den Standpunkt reflexiver Distanz einnehmend, präzise Fragen. Sie thematisieren die Praxis der Kunst und den zeitgenössischen Umgang mit Natur, sowie das Verständnis beider in Beziehung zum handelnden Individuum und zur Gesellschaft. Er arbeitet mit ineinandergreifenden prozessualen Gleichungen und Gleichnissen.

Die Natur als Bild. Das Bild der Natur. »Schön ist ein Naturprodukt, wenn es in seiner Kunstmäßigkeit frei erscheint. Schön ist ein Kunstprodukt, wenn es ein Naturprodukt frei darstellt.«²

Die gleichwohl aufklärerischen wie idealistischen Überlegungen Friedrich Schillers sind zu einer Zeit angestellt worden, in der bereits das Selbstverständnis des Menschen, ursächlicher Teil der Natur zu sein, verloren gegangen war und die objektivierende Naturerforschung die subjektive Naturerfahrung abzulösen begonnen hatte. Übertragen auf die Arbeit von Wolfgang Luy besitzen sie nach wie vor ihre Gültigkeit. Die Kunst als Vermittlerin zwischen der Vorstellung von Natur und dem direkten, sinnlichen Erleben in und an ihr.

Lange hat die Landschaftsmalerei den Gegenpol zur – Freiheit verheißenden, dabei den Verlust von Identität nach sich ziehenden – Verdinglichung und Aneignung von Natur gebildet. Ideal, romantisch oder realistisch, in jedem Fall aber ist sie nur visuell ästhetisch vergegenwärtigt worden. Luy jedoch schafft einen wirklichen Ort in der Natur und mit der Natur. Er stellt nicht bloß dar, sondern läßt eine von ihm gewählte und bis zu einem gewissen Grad mit skulpturalen Mitteln vorformulierte, inszenierte Situation sich entwickeln. Der Ausgang aber ist offen und hängt von Faktoren ab, die dem Zugriff des Künstlers entzogen sind.

Der höchste Punkt des zum ›Tal‹ gehörenden Geländes zeichnet sich bereits durch besondere Gegebenheiten aus, die natürlich wie künstlich sind. Da gibt es einen alleinstehenden, von weitem sichtbaren alten Baum und einen Durchfahrtsweg. Beide integriert und involviert Wolfgang Luy symbolhaft in seine Arbeit. Gedanklich wie formal sind sie Schlüsselelemente, an deren Bedeutungen Luy anschließt und um die er im wahrsten Sinne des Wortes Kreisfiguren legt. Dieselben sind real und imaginär und durchdringen sich mit ihren jeweils anders gelagerten Zentren und Achsen gegenseitig. Das Kunstwerk ist kaum als solches auszumachen, will als dieses allein auch nicht verstanden werden. Vielmehr liefert es Angebote, die den Betrachter zum Akteur werden lassen. Er wird, ohne es möglicherweise vorerst zu bemerken, zum ebenfalls thematisierten Bestandteil der Skulptur. Diese ist als ein Platz mit unterschiedlichen Bedingungen und Erlebnishorizonten ausgewiesen. Die Möglichkeit, auf die plastischen Denkvorgaben zu reagieren, sie aufzugreifen, weiterzuspinnen und auf sich bezogen zu erfahren, steht jedem frei.

Einladend winkt der Bereich um den Baum, der teilweise von einem kurzen, bogenförmigen Metallgeländer eingefaßt wird. Verführerisch könnte sein Codewort »in Ruhe verweilen, die Aussicht genießen« lauten, würde es sich nicht im selben Augenblick wieder zurücknehmen. Denn gerade die artifiziell trennende wie verbindende Zäsur inmitten der Natur bewirkt ein Innehalten im Akt des sich Hingebens an die Landschaft, im Akt des in sich Aufnehmens der Landschaft. Sie läßt den Betrachter zur Staffagefigur eines Bildes werden, der seinerseits ein Bild betrachtet. Ihm wird der Part des sich nach Ursprünglichkeit sehnenden und Einheit mit den Kräften der Natur suchenden Städters und intellektuellen Kunstliebhabers zugespielt, der aufgeladen mit Vorstellungen und Erwartungen die Szenerie betritt. Der erhabene, pittoreske Punkt und der auf Pittoreskes gelenkte Blick gerinnen ebenso zu Metaphern, wie die wilde, sich frei entfaltende Natur, die sich beim Überdenken des Sachverhaltes wiederum als Klischee entpuppt. Vom Menschen gestaltet, geformt und hinsichtlich seiner Zwecke bearbeitet, tritt sie uns als gezähmte Landschaft, als kulturelles Produkt entgegen.
Den Betrachter abermals einen anderen Standpunkt einnehmen lassend, steht auf der gegenüberliegenden Seite des Weges, der den ansonsten mit Natursteinen bepflasterten Platz kreuzt, ein bronzener Korb voller Früchte und Blätter aus Bronze – wie zufällig abgestellt, vergessen. Ein industriell gefertigtes, die Natur nachahmendes Stilleben, das Lebendiges einfriert. Es ist ein Bild, das über die Imitation von Realität berichtet. Als solches verweist es nicht nur auf die durch Handeln erwirkte Normalität und Autonomie der Dingwelt, sondern darüber hinaus auf die Tatsache, daß Naturprozesse jeglicher Art – von der Pflanze bis zum Menschen – bereits technisch reproduzierbar sind. Daß vor diesem sich bewußt zu machenden Hintergrund ein zeitgemäßes, direktes Gespräch zwischen Mensch und Natur aufgenommen werden kann, schließt Wolfgang Luy nicht aus. Vielmehr fordert er etwas heraus, das, mit seelischer Erlebensqualität umschrieben, die Begegnung mit Natur wie mit Kunst für den Menschen beherbergen kann. Dieses Etwas geht über Sentimentalität und touristischen Erholungswert von Landschaft ebenso weit hinaus, wie über ein ästhetisches Vergnügen. Entwickeln kann es sich allerdings erst aus einem reflektierten Mit- und nicht aus einem Gegeneinander.

Drei künstlich angelegte Hecken, die auch künftig hin überschaubar bleiben werden, begrenzen im Verein mit natürlichem Bewuchs den Platz. Gemeinsam formen sie die Skulptur und ihren schützenden Raum. Er ist von der Institution Kunst alleine kaum mehr zu vereinnahmen. Denn die Arbeit knüpft Verbindungen und stellt vernetzende Beziehungen zwischen verschiedenen Disziplinen und Kontexten her. Die Kunst ist ein Teil davon. Sie ist kein Störfaktor des ökologischen Systems, sondern dieses wird als ein steten Veränderungen unterliegendes Material der Gestaltung mit benutzt. So setzt sich Wolfgang Luys Platz aus vielen Elementen und Versatzstücken zusammen. Analogien und zugleich Realien der Prozesse von Formwerdung und Wachstum, der Bedingungen, die Zivilisation und Natur entstehen lassen, der Vorstrukturierung von Blicken und Haltungen.
Was der Künstler bislang in zahlreichen skulpturalen Modellen gedanklich niedergelegt hat, ist hier im ›Tal‹ verwirklicht. Entschieden präsentiert sich der geschlossene, wie offene, sich absetzende, wie intervenierende Ort als Ort des Verweilens und Besinnens, des Empfindens und Erfahrens, des Durchmessens und Durchschreitens. – Trotz und gerade wegen seines Ausgewiesenseins als ein auf der Idealform des Kreises basierenden Konstruktes. Eines Konstruktes, das es uns möglicherweise erlaubt, kosmische Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen als Grundlage des Lebens begreifen zu können. – Eine irreale Gegenwelt zur elektronischen Wirklichkeit.

Beate Ermacora

1 Friedrich Schiller: Über das Schöne und die Kunst. Schriften zur Ästhetik. München 1975 (5. Aufl .) 1984, S. 214.
2 Ebda., S. 37. 95

im Tal – Stiftung Wortelkamp