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Jo Schöpfer

ohne Titel

1994

Bank 20–50 × 100 × 400 cm
Käfige 30 × 30 × 30 cm | 25 × 20 × 60 cm | 26 × 20 × 38 cm | 26 × 23 × 23 cm | 26 × 20 × 29 cm
Beton, Aluminiumguß

Jo Schöpfer

*1951 in Coburg
lebt in Berlin

Nach den raumgreifenden Arbeiten von Ludger Gerdes und Michael Deiml stößt der Spaziergänger, wenn er ausgehend von der Installation »Sonne-Licht-Mensch« dem leichten Gefälle des Geländes in Richtung Bachlauf folgt, auf eine vergleichsweise kleine Welt. Ein ›Minimalist‹ hat hier im Wasser seine Käfige ausgelegt, fünf Aluminiumquader, die aus einem offenen Strebengerüst gebaut sind, nicht um kleine Fische zu fangen, sondern um das Augenmerk des Vorbeikommenden auf ein Stück Landschaft zu lenken, das er ansonsten übersehen würde. Groß genug, einem ausgewachsenen Fuß eine sichere Trittfläche zu bieten, können sie tatkräftige Menschen auch direkt zum Überqueren des Baches verleiten, noch ehe sie sich Gedanken gemacht haben, was hier eigentlich gespielt wird. Auf der gegenüberliegenden Uferseite stellt sich den Eiligen ein schlichter Betonblock in den Weg, der durch seine Position und Höhe in einfachster Form zum Sitzen einlädt, um das Ensemble im Bach von hier aus zu betrachten. Kinder lassen in solchen Gewässern gern Schiffchen schwimmen, werfen Gegenstände hinein und beobachten das Wasser, das an ihnen vorbeiströmt. Die von Jo Schöpfer installierten Quader funktionieren wie der Focus eines Objektivs. In dem Moment, in dem sie zum Blickfang werden, legen sie den Maßstab für ihre Umgebung fest. Sie verschaffen einen Überblick über den Wasserlauf und zwingen den am Ufer Stehenden zur Nahsicht, da er zwangsläufig dem Anreiz unterliegt, ihrem offenliegenden Inneren auf den Grund zu gehen. Der Raum, den jeder einzelne umgrenzt, erscheint als einschätzbare Größe. Gradlinig verlaufende Streben legen die unterschiedlichen Proportionen fest und unterteilen die Außenseiten auf verschiedene Art in kleine rechtwinklige Segmente. Das individuelle Erscheinungsbild, das hierbei entsteht, basiert ganz offenkundig auf demselben Konstruktionsprinzip, auf einer nachvollziehbaren Gestaltung mit Konstanten und Varianten. Als gemeinsame Konstante erkennt der Betrachtende bald das Quadrat, das als Modulform in allen Flächengliederungen auftaucht. Die vorgenommene Variation, die Art und Anzahl der Unterteilungen, macht es dem vergleichenden Auge jedoch nicht leicht, zu entscheiden, ob die kleine gliedernde Quadrateinheit des abseits stehenden Kubus als kleinste Teilfläche oder das große Quadrat des langgestreckten flachen Körpers als größte unterteilte Einheit die alles bestimmende Größe ist.

Auf der Suche nach dieser Einheit entfaltet sich auch die übrige Erscheinungswelt der Uferzone. Die kleine Serie rational durchschaubarer Ordnungssysteme wirkt wie ein Katalysator für die Wahrnehmung der sie umgebenden Natur. Sich immer wieder verändernde Übergänge zwischen Wasser und Erde haben an dem gewählten Ort eine auffallend unregelmäßige Uferlinie geschaffen. Der Bach schlängelt sich durch viele Kurven und fließt streckenweise je nach Wasserstand durch mehrere Arme. Die Ufer sind zerfurcht, voller Absätze und Sprünge, die angrenzende Böschung und Weidefläche buckelig und uneben. Die Vegetation entpuppt sich als abwechslungsreich. Verschiedene Grassorten, einzeln stehende Getreidehalme und Schilf wachsen in der Nähe des Wassers. In seiner hervorstechenden Eigenart gewinnt der betrachtende Landschaftsausschnitt etwas von der Dimension einer zerklüfteten Gebirgslandschaft, in der verstreute ›Skelettbauten‹ ein Zeichen ihrer Zivilisation setzen. Der Kontrast könnte nicht deutlicher ins Auge fallen. Die Uferlandschaft zeigt das Formlose, Unregelmäßige und Weiche, das, was im Fluß ist und daher zeitlichen Veränderungen unterliegt, die Quader verkörpern das Gegenteil, sie besitzen eine feste regelmäßige Form, weisen scharfe Konturen auf und demonstrieren Stabilität im Sinne dauerhafter Beständigkeit. Während in der Natur das vielfältige Erscheinungsbild die gemeinsamen Gesetze verhüllt, treten diese in dem nachvollziehbaren Gestaltungsvorgang der Metallkonstruktionen offen zutage. In ihrer offenen Struktur setzen sie sogar die Trennung zwischen einer äußeren Erscheinungsform und einer dahinter verborgenen inneren Gesetzmäßigkeit außer Kraft.

Mit dem Betonstück, das auf der anderen Uferseite eine Sitzfläche schafft, verhält es sich ähnlich. Der als offener Winkel konstruierte Körper paßt sich insofern den natürlichen Gegebenheiten an, als er sich über einen vorhandenen Absatz innerhalb der Uferböschung stülpt. Genaugenommen wird dieser von ihm begradigt, auch sonst zeigt seine exakte Form eine bestechende Regelmäßigkeit, die alles, was sich im Vergleich mit dieser Erscheinungsqualität mißt, auf eine gegenteilige Position verdrängt. Über den Bach hinweg betrachtet, läßt der Betonkörper in seiner horizontalen Erstreckung alle horizontal verlaufenden Grenzlinien in der Landschaft als gekrümmt und unregelmäßig erscheinen. Lediglich als Annäherungswerte an eine denkbare und dank der sich klar aus ihrer Umgebung heraushebenden Form auch anschaubare Ideallinie könnte man die Grenzen zwischen den Weideflächen und von diesen wiederum zum nahegelegenen Tannenwäldchen, in dem der »Dreibeiner« von Karl Bobek steht, bezeichnen, wobei im Vergleich der Verlauf des Bachs zum Inbegriff des ›Natürlichen‹, ›Zufälligen‹, ›Organischen‹ erwächst. Obwohl die Landschaft als Nutzfläche durch Weideflächeneinteilung, Weg- und Straßenführungen vergleichbare vom, Menschen verursachte Ordnungsstrukturen zeigt, separiert sich im Gegensatz zu den geometrischen Gebilden, die mit der modernen Baustoffen eigenen Präzision gefertigt sind, ein Stück in dieser „zivilisierten Landschaft“ als Raum für eine ursprüngliche Naturerfahrung.

Die Faszination, die von der Installation ausgeht, entsteht jedoch durch Zusammenhänge, die sich als komplexer erweisen, als es die augenfällige Gegenüberstellung kontrastierender Prinzipien ausdrücken könnte. Jo Schöpfer erzeugt ein Wechselspiel zwischen Integration und Gegensatz, in welchem abhängig von Standort und bevorzugter Denkrichtung mal die eine und mal die andere Seite überwiegt. Die installierten Objekte erscheinen zwar als Vertreter einer gegensätzlichen Welt, andererseits sind sie derart in die Natur eingebunden, daß sie den dort stattfindenden Formveränderungen unterworfen sind und sowohl ihre klaren Grenzen verlieren, als auch ihre Gestalt an Vollkommenheit einbüßen. Das emporwachsende Gras verdeckt die unteren Kanten des Winkels, während die im Bach plazierten Quader immer nur teilweise aus dem Wasser auftauchen. Die umspülten Streben werden durch optische Verzerrungen ihrer klaren Kontur beraubt. Obwohl ihre ideale Gesamtform folgerichtig aus den gegebenen Sichtbarkeitsdaten ergänzt wird, bleibt ihre tatsächliche Ausdehnung, die Tiefe des Wassers, in dem sie stehen, nicht jederzeit überprüfbar.

Nimmt man auf dem Betonstück Platz, verliert es die Neutralität eines abstrakten Anschauungsmodells und übernimmt selbst eine integrative Funktion. Es versetzt den Betrachtenden an einen Ort, an dem sich eine idyllische Situation offenbart, eine Perspektive, aus der sich die Polarisierung von Gegensätzen ebenso wieder auflösen läßt, wie man sie vergleichend aufbauen konnte. Rechts, ein Stück von den Quadern entfernt wachsen am Bach ein paar Bäume, unter denen ein kleiner Wasserfall ein ständiges Plätschern und Rauschen verursacht und den Betrachter in eine kontemplative Stimmung versetzt. Die emotional erlebbare Beschaulichkeit des Ortes verbindet sich mit einem Schönheitsempfinden, das durch Symmetrie und Gleichmaß, durch die erkennbare formale Ordnung der Körper, ausgelöst wird. Durch die Transparenz der Quader und das stumpfe Glänzen des Aluminiums ensteht ein harmonischer Zusammenklang mit der durchsichtigen Klarheit des Wassers, besonders wenn auf der Oberfläche Sonnenlicht reflektiert wird. Aus dieser poetischen Verbundenheit heraus verlieren die Metallkonstruktionen ihre rational technische Ausstrahlung. Der umgrenzte Raum erscheint nicht mehr nur als Summe der sichtbaren Koordinaten, sein Inneres gewinnt metaphysische Qualität. Andererseits betrachtet man die umgebende Natur durch die Einbettung der regelmäßig gegliederten Körper mit einem wissenschaftlichen Blick, der in ihren Objekten weit mehr Gesetzmäßigkeiten annimmt als sie zunächst sichtbar werden läßt. Durch die starke Präsenz des fließenden Wassers, das in der antiken Naturphilosophie als ein möglicher, allen Naturprozessen zugrundeliegender Urstoff angesehen wurde, wird der Betrachter angeregt, die Aufhebung der Gegensätze durch die Vorstellung einer Natur zu denken, die ebenfalls als ein in sich geschlossenes Ordnungsgefüge funktioniert.

In dem Panorama, das sich vom Sitzplatz aus darbietet, wenn man vom Wasser aufblickt und in die Ferne schaut, scheint eine Auflösung der Gegensätze anschaulich gegeben. Die sanft geschwungene Horizontlinie vermittelt zwischen den extremen Polen des Kurvigen und der Geraden, zwischen Bach und Betonwinkel. Das Bild der gleichmäßig aufgereihten Säuleneichen an der Arbeit von Erwin Wortelkamp kann in diesem Zusammenhang an Landschaftsgemälde erinnern, wie z. B. an Monets ›Pappeln‹ oder Mondrians ›Bäume am Gein‹, die im Rückblick die Entwicklung von reinen Formgesetzen und auch das Prinzip der seriellen Reihung aus der Landschaft heraus begonnen haben.

Dagmar Schmidt

im Tal – Stiftung Wortelkamp