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Ulf Hegewald

Teatro

1989

60 × 111 × 7 cm
gebrannte Erde

Ulf Hegewald

*1942 in Mersedorf
lebt in Aachen

»Weil ich so groß bin wie das, was ich sehe, nicht so groß, wie ich bin.«

Alberto Caeiro

Passiert man die zum ›Tal‹ gelegene Wand des Sander-Hauses, taucht linker Hand ein kleines Bildwerk aus rötlichem Ton auf. Es lenkt den Blick ab vom gerade geführten Weg auf eine Gras bewachsene Senke, in deren Mitte das Gebilde liegt. In der Verfolgung des Wegs umschreitet man das Bildwerk, sieht aus der Entfernung auf es hinab. Es entzieht sich in seiner geringen Größe einer Annäherung, baut eine Distanz auf, die beim Herantreten gewahrt bleibt.

Von Nahem zeigt sich das Bildwerk als Gebautes mit einer klaren Struktur. Aus Ziegelsteinen gemauerte Körper sind additiv zu einer hierarchischen Einheit gefügt: auf zwei, konzentrisch um eine Mittelplatte angelegten, ringförmigen Basen stehen zwei ineinander gestaffelte Kegelschnitte. Dieser architektonisch anmutenden Konstruktion liegen weniger Berechnungen als bildhauerische Vorgehensweisen zugrunde. Denn die Körper, aus denen das Bildwerk zusammengesetzt ist, schnitt Hegewald aus Blöcken heraus, die er aus trapezförmigen Ziegeln aus Westerwälder Ton schichtete. Die Schnitte fassen so die Ziegelelemente zu Formen zusammen. Vor dem Brand werden die Positionen der Elemente in dem jeweiligen Formzusammenhang mithilfe einer eingeritzten Markierung festgehalten; der Aufbau ist hier letztlich ein Wiederaufbau der zuvor durch einen plastischen Prozeß entstandenen Körper.

Doch das ›Bauen‹ erschöpft sich nicht in dem beschriebenen Bauvorgang; es wird als Thema freigesetzt an einem Gebilde, das sein Gebaut- Sein anhand von jeder herkömmlichen Funktion entbundenen Ziegeln und Verbänden demonstriert. Material und Formen frühzeitlicher Architekturen aufnehmend, spielt es auf traditionelle Bauweisen an, zeigt darin eine Verwandtschaft zu dem größten Bauwerk des ›Tal’s‹, Claus Burys »Haus für den Hasselbacher Reiter«. Doch anders als dort setzen verschiedene Merkmale, die eine Fortsetzbarkeit andeuten, wie die steile Anlage der Kegel, die Abweichung ihrer seitlichen Grenzen voneinander, das Prinzip der zunehmenden Größen Denkprozesse in Gang, die man ebenso als ›Bauen‹ bezeichnen könnte. Man kann an den Turm zu Babel wie an antike Bauten denken; der Titel »Teatro«, hält dabei nur eine dieser vielfältigen Assoziationen fest. Denn Hegewalds »Teatro« meint kein Theater: es funktioniert weder als Modell noch als Miniatur; seine Querschnitte zeigen nur die Geschlossenheit der Dinge.

Zwischen den Polen von Architektur und Skulptur bewegt sich auch das dritte Bauwerk, das »Haus für August Sander«, welches sich in nächster Nähe zum „Teatro“ auf derselben Erhebung fi ndet. Es ist wie Burys Bauwerk eine Architektur, ein „Haus“, das eine Spannung zwischen skulpturalem Äußeren und betretbarem, eher funktional ausgerichtetem Inneren aufbaut. Dagegen entzieht sich Hegewalds Bauwerk in seiner geringen Größe allen Verpflichtungen der Dimensionen, schaltet durch seine Beschaffenheit jede funktionale Vereinnahmung aus. Die innere Konzentration auf einen Kern, die Reduktion auf elementare Grundformen von Kreis und Kegel machen die Dichte der kleinen Masse aus. In dieser Reduzierung mit dem Sander-Monument vergleichbar, wirkt das minimale Bauwerk für seine Verhältnisse ebenso monumental wie der gewaltige Kubus. Im Dialog der beiden absolut konträren Monumente wird die Relativität von Größen umso deutlicher. Im Bezug auf seine Umgebung bildet das kleinste Bauwerk eigene Maßstäbe aus, weitet die Senke zu einer ausgedehnten Ebene, schreibt ihr durch seine auratische Kleinheit eine Ferne ein. Erstaunlicherweise besteht die Skulptur gegenüber der monolithischen Architektur des Sander-Hauses; subtil unterläuft sie die Konfrontation, da sie ihr Verhältnis zum Umfeld auf andere Weise definiert. Manifestiert der zementgrau verputzte Kubus als Fremdkörper in der natürlichen Umgebung die grundlegende Verschiedenheit von Kunst und Natur, fügt sich die anziehend warme Tonigkeit der Ziegel in dem Maße in ihr Umfeld, wie sie sich von ihm abhebt. Verfestigt zur starren Form läßt die ›gebrannte Erde‹ den natürlichen Ursprung durchscheinen. In dem in Material und Form anklingenden Archaismus verfällt das Bildwerk nicht in die Klage über eine verlorene Idylle, die sich an dieser Stelle in dem wüsten Rest eines Steinbruchs zeigt, sondern stellt sich mit stiller Beharrlichkeit entgegen.

Das Zusammenlaufen verschiedener Ebenen und Wege des ›Tal’s‹ kennzeichnet die Situation der Talsohle, auf der sich der Steinbruch befindet; zwischen Tal und höchster Erhebung gelegen, bezeichnet sie eine Station zwischen Auf- und Abstieg. Der aufragende Baukörper des Sander- Hauses dominiert das Landschaftsbild an dieser Stelle. Sein Architekt, Hanspeter Demetz, bezeichnet es als ›gemauerte Gedanken‹ – es ist demnach eine Setzung, die ihre Dimension im Widerspruch zur natürlichen Umgebung gewinnt. Das »Teatro« tritt dagegen mit der Landschaft des Steinbruchs in eine auf Harmonie bedachte Zwiesprache. Hegewald komponiert mit ihren Vorgaben: der steil aufragenden Abbruch- Wand antwortet die Front der aufgemauerten Kegelschnitte, der Ausdehnung der Ebene in Richtung des Wegs die vom Kern aus laufenden ringförmigen Basen. Zudem veranschaulicht das Heben und Senken der Kreise die gegenläufigen Bewegungen der natürlichen Gegebenheiten. Die harmonische Form ergibt sich in den Ablauf der Natur, eröffnet sich in einem fortschreitenden Wandel der Ansichten, sich immer neu in Bezug zur Landschaft setzend, deren Öffnen und Schließen, Auftürmen und Auslaufen es zur Auswirkung bringt. So scheint es in sich selbst eine Landschaftlichkeit zu bergen. In ihm vereint sich die konkrete landschaftliche Situation mit dem bildlichen Aspekt von ihr.

Vitruv erklärt in seinen Büchern zur Architektur (III, 6–8) die Formfindung des Amphitheaters über die Beschäftigung mit der Akustik. Zur Erläuterung der Ausdehnung des Schalls benutzt er das Bild von Wellenkreisen, die entstehen, wenn man einen Stein in ein stilles Gewässer wirft. Wie der Stein Kreise zieht, strahlt auch das Bildwerk auf die Umgebung aus, bricht sich an Erinnerungen und Verbindungen, die Wellen zurückwerfen, die es wiederum einfängt. Das Wechselspiel von Hegewalds Skulptur, Sander-Haus und der Landschaft des Steinbruchs deutet das Beziehungsgeflecht, die gegenseitige Aufladung und Bereicherung der Werke im ›Tal‹ an. In dem lautlosen Einsetzen nimmt das »Teatro« seinen Umkreis in dem Maße für sich ein, wie es sich auf ihn bezieht. Unaufdringlich und verhalten konzentriert es sein Umfeld in sich, regeneriert es diese Landschaft, stiftet es einen Ort.

Carina Plath

im Tal – Stiftung Wortelkamp